THEATERPRODUKTION 98/99 AEHLF /EBGS- DINSLAKEN

büchnerwoyzeck

Prolog
(Von der Decke hängt ein Rasiermesser herab, der Narr tritt auf und läßt das Messer weit über die Köpfe des Publikums schwingen, Hauptmann und Woyzeck erstarrt im Halbdunkel)

Marktschreier
Hereinspaziert, gelöhnt und Augen auf ! Kerle, Weiber, Gören - Zocker, Zicken, Zecken ! Juno,  der 21. im Jahre des Herren 1821 um halbe 10 Schlag  des Abends, ersticht er, der Franz Christian Woyzeck,  seine Geliebte Marie, Tochter des Quacksalbers Johann  Woost und Mutter eines unehelichen Bastards, am  Stadtrand. Verübt diese frevelhafte Tat mit einem   grauenhaften Messer, am Vorabend erstanden in der  gottlosen Absicht das liederliche Fräulein ins Jenseits  zu  befördern. Ein Hieb - ein Stich, sie stirbt - krepiert -  verreckt - verblutet auf dem Pflaster, wie gemeines Vieh.  Ein klarer Fall, zweifelsohne, ein glasklarer Fall der  Geißel niederer Eifersucht im Milieu gezwängten und  beschränkten Kleinmenschentums.

Narr (löst das Messer vom Seil und legt es Woyzeck in die  Hand)
 O schauerliche Lebenswirrn,
 wir hängen hier am roten Zwirn !
 Die Unke unkt, die Spinne spinnt,
 und schiefe Scheitel kämmt der Wind.

 O Greule, Greule, wüste Greule !
 „Du bist verflucht !“ so sagt die Eule.
 Der Sterne Licht am Mond zerbricht.
 Doch dich zerbrachs noch immer nicht.

 O Greule, Greule, wüste Greule !
 Hört ihr den Ruf der Silbergäule ?
 Es schreit der Kauz: pardauz ! pardauz !
 da tauts, da grauts, da brauts, da blauts !

*
woyzeck / Frederik Geisler

marie / Britta Kappel

doktor / Jörg Höllerich

hauptmann / Dustin Peters

schausteller / Claudia Koall

narr / Ekin Yilmaz

margret / Dagmar von Forstner

andres / René Welfonder

großmutter / Anne Fuchs
*
regie / Jochen K. Gerberding

technik / Junk, Triepel, Zigahn

fotos / Karin Koster
*
Wenn der letzte Vorhang fällt...
Reflexion eines Theaterprojekts

Jetzt ist es passiert: Der letzte Vorhang ist gefallen. Ein wunderschöner Theaterabend ist
vorüber und der Schlussapplaus klingt mir noch in den Ohren , während ich an der Rampe
sitze und wehmütig in den leeren Saal schaue. Auf dem Boden, zwischen den Stühlen leere
Sektgläser, zerrissene Eintrittskarten, Programme mit unseren Namen.
Das war die letzte Aufführung. Nie wieder werden wir dieses Stück zusammen spielen, dieses
Stück, an dem wir sieben Monate lang gearbeitet haben, das mit uns und an dem wir
gewachsen sind.

Ich versinke in Erinnerungen an die letzten Wochen. Lächeln muss ich, als ich an den Tag
denke, an dem ich "Woyzeck" zum ersten Mal las. Frustriert, weil ich nichts verstand und
dennoch hartnäckig, weil es mich doch irgendwie faszinierte, versuchte ich mich
durchzukämpfen Und es funktionierte. Von einem Lesen zum nächsten verstand ich mehr; bei
jedem Lesen entdeckte ich etwas Neues. Plötzlich machte alles Sinn und: Es gefiel mir.
Bei den Proben rügten sich die einzelnen Szenen zu einem Ganzen zusammen. Es war ein so
tolles Gefühl, mitzubekommen wie das Stück anfängt zu leben.
Natürlich gibt es auch Momente, in denen man sich nicht so toll gefühlt hat.
Zum Beispiel wenn man drei Stunden an einer "mickrigen" Szene arbeitet und das Gefühl
hat einfach nicht weiter zu kommen. Oder wenn man sich weitaus Besseres vorstellen kann,
als sich nach einem sowieso schon stressigen Tag noch hochkonzentriert auf die Bühne zu
stehen.
Doch das alles ist spätestens bei der Premiere vergessen. Wenn du dort oben stehst, vergißt du
auch die letzte Nacht, in der du trotz autogenem Training und anderer Hausmittelchen vor
Lampenfieber viel zu kurz geschlafen hast. Du stehst dort oben, bist eins mit deiner Rolle,
die Bühne ist dein zu Hause und du lebst für ein paar Stunden in einer anderen Welt.
Manche Schauspieler können angeblich so in ihre Rolle versinken, dass sie nicht einmal merken,
wenn etwas anbrennt, doch selbst dann fackeln sie nicht lange!
Während ich so dasitze und vor mich hin philosophiere, setzt Frederik, mein Woyzeck, sich
zu mir. Auch er schaut schwermütig und doch zufrieden. Jedes Wort wäre jetzt überflüssig.
Ich fühle was er denkt und fühle mich auch von ihm verstanden.
Jetzt ist der Saal leer. Doch er wird sich wieder füllen. Ganz bestimmt!
Ich weiß jetzt wofür ich in den letzten Monaten so viel gegeben und getan habe und ich weiß:
Ich werde es wieder tun !!!  Britta Kappel

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